Donnerstag in Hamburg, es regnet.
Irgendwie beruhigend, so eine Rückversicherung. Alles wie immer, denke ich und lache kurz. Es ist der zweite Tag auf der Reeperbahn, ich stehe mit meinen Kolleginnen auf der FLINTA & friends Reception. Hier haben sich verschiedene feministische Kollektive zusammengetan: faemm, Bundessstiftung Livekultur, MEWEM, Keychange und Music Women*.
Receptions sind Netzwerk-Events, bei denen sich Kolleg*innen der Branche in entspannter Atmosphäre treffen, austauschen und neue Kontakte knüpfen. Es ist ein kleiner Traum von uns, auch irgendwann mal eine auszurichten.
Vorhin hat Teresa ein Mentoring gegeben. Es ging darum, wie Artists verantwortungsvoll auf Vorwürfe reagieren können. Dafür haben wir eigens ein Arbeitsblatt designed, damit niemand mehr sagen kann: Davon hab ich aber nix gewusst!
Ich sehe Schorle an mir vorbeiflitzen, sie hält die schönsten Momente mit ihrer Kamera fest. Gerade verliert sie sich in dem Gefühl der Verbundenheit, das sie auch auf unsere Posts überträgt. Es ist immer sweet, einen kleinen Einblick hinter die Kulissen zu bekommen.
Gwen und Kris stehen neben mir und sprechen über gestern. Begonnen haben wir mit einem kleinen Panel im St. Pauli Fanshop. Es ging um Awareness in der Popkultur. Rike van Kleef hat uns Zahlen aus ihrem neuen Buch um die Ohren gehauen und Männer zur Solidarität aufgerufen. Katja Ruge hat FLINTA* dazu animiert, ohne Scheu (und male gaze) in Fotos zu posieren. Andrea M. Junker hat uns einen Blick in die Musikbranche der 80er Jahre geschenkt. Und ich? Ich hab natürlich über das Konzept des Reeperbahn Festivals erzählt.
Lena hat nämlich 40 (+1) Awarenesskoffer für Artists gepackt, die in den Backstages ausgelegt wurden. Darin war Unterstützungsmaterial, was zum Beispiel bei Reizüberflutung hilfreich sein kann. Passend dazu haben wir ein Toolkit designed: ein ausklappbares Büchlein mit Impulsen und einem Poster auf der Rückseite (bisschen wie in der Bravo, nur mit Awarenesskonzept Bausteinen für den Tourbus).
Und wie gerufen kommt Lena auch schon vorbei, um mir den 41. Koffer zu übergeben. Der ist ein Anschau-Modell für unseren Workshop morgen. Aber erstmal bekannte Gesichter begrüßen und neue kennenlernen, das geht ganz gut an der Kloschlange beim Stickertausch.
Zwischen den Schrimen atme ich einmal kurz durch und sehe mich um. Wir haben uns – und diese starke Community mit den inspirierenden Personen. Kurz fühle ich mich pathetisch, so als könnten wir gemeinsam alles schaffen.

Es ist Freitag. Hamburg verabschiedet sich mit Sonne von uns.
Ich verteile Scheren und Klebestreifen an unseren drei Stationen. Mia und Luisa kommen mit einem Kaffee zur Tür rein. Die beiden sind von Power Plush und teilen ihre Perspektive auf die künstlerische Verantwortung heute mit uns. Sie strahlen so eine besonnene Ruhe aus, dass es auch mich ansteckt.
Jedes Jahr denken wir uns was Besonderes für das Reeperbahn Festival aus. Dieses Jahr wird’s interaktiv: Teilnehmer*innen können sich an der zweiten Station zu guten und schlechten Awarenesspraktiken austauschen. Teresa wird hier Insights aus ihren vielen Jahren als Awarenessleitung geben.
Nadine vom c/o pop hat ein paar erschreckende Zahlen an der dritten Station parat. Gleichberechtigung in der Musikbranche? Fehlanzeige! Wer uns kennt, weiß aber auch: Unser Ziel ist, Missstände sichtbar machen und gemeinsam Lösungen anstoßen.
Wenn ich auf 2022 zurückschaue, hat sich in den vier Jahren der Zusammenarbeit viel getan:
🌂 Wir haben das Awarenesskonzept entwickelt und ihm ein Gesicht gegeben: der lila Regenschirm.
🌂 Wir haben den Code of Behavior angepasst und ein Oberkörperfrei No-Go für Artists eingebaut.
🌂 Wir haben Standorte für den Awareness Point ausprobiert und Interaktionen angeboten.
🌂 Wir haben Grundlagen und Vertiefungsworkshops gegeben, damit die Crew Handlungssicherheit gewinnt.
🌂 Wir haben diverse Programmpunkte für das Konferenzpublikum gegeben, als Impulse für die Praxis.
🌂 Wir haben einen Einspieler aufgenommen, der vor allen Workshops und Panels läuft und zu Solidarität aufruft.
🌂 Wir haben die Artists mit einbezogen und ihnen mitgegeben, wie sie Allies sein können.
Ich sitze im Auto auf dem Weg nach Berlin. All das lass’ ich sacken und merke, wie dankbar ich bin für die vergangenen Tage.
Ich bin zuversichtlich: Auch wenn’s in Hamburg wieder regnet, haben wir ja den ☂️lila Regenschirm☂️ – und eine Community, die ihn mitträgt.
